Notizen aus der
Wissenschaft:
Stichwort:
Traumata
Traumata
25.8.2015
Holocaust-Überlebende geben Trauma an
ihre Kinder weiter
Traumatische Erfahrungen noch vor der Schwangerschaft
führen zu epigenetischen Veränderungen bei den betroffenen
Eltern und deren Kindern
Ein internationales Team angeführt von Rachel
Yehuda, Professorin am Mount Sinai Hospital in New York, und
für die molekularen Analysen von Elisabeth Binder, Direktorin
am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München,
hat die Gene von 32 jüdischen Personen untersucht, die
während des Zweiten Weltkriegs entweder in einem Konzentrationslager
gefangen waren, gefoltert wurden oder sich verstecken mussten.
Die Wissenschaftler haben außerdem die Gene deren Kinder
analysiert, die bekanntermaßen ein erhöhtes Risiko
für Stresserkrankungen haben. Diese Daten wurden dann
mit jüdischen Familien verglichen, die während des
Holocausts außerhalb von Europa gelebt hatten.
Im Zentrum der Untersuchungen standen epigenetische Veränderungen
im Gen FKBP5, das schon lange im Fokus von Elisabeth Binder
ist. „‘Epigenetisch’ nennt man Abläufe,
die nicht die eigentliche Erbinformation verändern, sondern
diese nur besser oder schlechter zugänglich machen“,
erklärt Elisabeth Binder. „FKPB5 bestimmt, wie
wirkungsvoll der Körper auf Stresshormone reagieren kann
und steuert so das gesamte Stresshormonsystem. Das FKBP5-Gen
ist bei vielen Krankheiten wie beispielsweise der Posttraumatischen
Belastungsstörung oder der Depression verändert.
Jetzt konnten wir zeigen, dass es wohl auch generationsübergreifende
Effekte gibt.“
Die Forschungsergebnisse geben einen Hinweis darauf, dass
‘epigenetische Vererbung’, also die gesammelten
Erfahrungen während des Lebens der Eltern, einen Einfluss
auf die Gene der Nachkommen haben und eine wichtige Rolle
bei der Entwicklung der Kinder spielen könnten. „Die
epigenetischen Veränderungen bei den Kindern scheinen
nicht durch deren eigene Erfahrungen in der Kindheit verursacht
worden zu sein, sondern können tatsächlich nur durch
das Holocaust-Erleben der Eltern erklärt werden“,
sagt Rachel Yehuda. „Umwelteinflüsse wie Stress,
Rauchen oder Ernährung können sich auf die Gene
unserer Kinder auswirken. Um die generationsübergreifenden
Effekte von traumatischen Erfahrungen einzudämmen erhoffen
wir uns, durch frühes Erkennen der epigenetischen Markierungen
zukünftig vorbeugende Maßnahmen ergreifen zu können.“
AN/HR
Traumata
13.04.2014
Vererbte Traumata
Extreme Erlebnisse verändern die
Betroffenen. Und oftmals auch Jahre später ihre Kinder.
Forschende der Universität und ETH Zürich haben
nun einen Puzzlestein entlarvt, wie die Vererbung von Traumata
zustande kommen könnte.
Medienmitteilung Hochschulkommunikation
Eidgenössische
Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich)
In der Psychologie ist das Phänomen schon lange bekannt:
Traumatische Erlebnisse lösen Verhaltensauffälligkeiten
aus, die von Generation zu Generation weitergegeben werden.
Dass physiologische Vorgänge dahinterstecken, beginnen
Wissenschaftler erst langsam zu verstehen. „Es gibt
Erkrankungen, wie zum Beispiel bipolare Störungen, die
familiär auftreten, aber nicht auf ein bestimmtes Gen
zurückzuführen sind“, erklärt Isabelle
Mansuy, Professorin an der ETH und Universität Zürich.
Mit ihrer Forschungsgruppe am Institut für Hirnforschung
der Universität Zürich untersucht sie die molekularen
Prozesse der nicht-genetischen Vererbung von Verhaltensveränderungen
nach extremen Stresserfahrungen.
Nun ist es den Forschenden um Mansuy gelungen, eine wichtige
Komponente dieses Phänomens zu identifizieren: kurze
RNA-Moleküle. Diese werden durch Enzyme hergestellt,
welche einzelne Abschnitte der Erbinformation (DNA) ablesen
und anhand dieser Vorlage RNA produzieren. Andere Enzyme schneiden
anschliessend diese RNAs zurecht, so dass daraus eine Vielzahl
verschiedener als Micro-RNAs bezeichneten Moleküle entstehen.
Diese kommen natürlicherweise in Zellen vor und übernehmen
regulierende Aufgaben, beispielsweise steuern sie, wie viele
Kopien eines bestimmten Proteins produziert werden.
Kleine RNAs mit grosser Wirkung
Mansuy und ihr Team untersuchten die Anzahl und Art verschiedener
Micro-RNAs in Mäusen, die sie stressigen Situationen
ausgesetzt hatten, und verglichen die Werte mit nicht-gestressten
Mäusen. Dabei entdeckten sie, dass Stress zu einem Ungleichgewicht
der Micro-RNAs in Blut, Gehirn und in Spermien führt.
Das heisst, von einigen Micro-RNAs gab es mehr, von anderen
weniger als in entsprechenden Zellen der Kontrolltiere. Dadurch
laufen Zellprozesse, die durch diese Micro-RNAs gesteuert
werden, aus dem Ruder.
Nach den Stresserfahrungen verhielten sich die Mäuse
deutlich anders: Sie verloren zum Teil ihre natürliche
Scheu vor offenen Räumen und hellem Licht. Diese Verhaltensauffälligkeiten
übertrugen sich auch auf die nächste Generation
durch Spermien, obwohl der Mäusenachwuchs selbst keinem
Stress ausgesetzt wurde.
Noch bis zur Enkelgeneration vererbt
Auch der Stoffwechsel des Nachwuchses der gestressten Mäuse
ist beeinträchtigt: Insulin- und Blutzuckerspiegel lagen
bei diesem tiefer als bei Jungtieren, deren Elterngeneration
keinen Stress erfahren hatte. „Wir konnten erstmals
beweisen, dass traumatische Erfahrungen den Stoffwechsel beeinträchtigen
und diese Veränderungen erblich sind“, sagt Mansuy.
Die Stoffwechsel- und Verhaltensänderungen setzten sich
sogar noch bis in die nächste Generation fort.
„Mit dem Ungleichgewicht der Micro-RNAs in Spermien
haben wir einen Informationsträger entdeckt, über
den Traumata vererbt werden könnten“, erklärt
Mansuy. Es seien jedoch noch einige Fragen offen, zum Beispiel
wie genau es zu dem Ungleichgewicht der kurzen RNAs kommt.
«Sehr wahrscheinlich sind sie Teil einer Wirkkette,
die damit beginnt, dass der Körper zu viele Stresshormone
produziert.“
Der gleiche Mechanismus könnte aber auch der Vererbung
anderer erworbener Eigenschaften zugrunde liegen, vermutet
die Forscherin. „Die Umwelt hinterlässt ihre Spuren
im Gehirn, den Organen und auch in Keimzellen. So werden diese
Spuren teilweise an die nächste Generation weitergegeben.“
Derzeit arbeiten Mansuy und ihr Team daran, die Rolle der
kurzen RNAs in der Traumavererbung auch bei Menschen zu untersuchen.
Da sie das Ungleichgewicht der Micro-RNAs bei Mäusen
auch im Blut nachweisen konnten, sowohl bei der Eltern- als
auch bei der ersten Nachwuchsgeneration, hoffen die Wissenschaftler,
daraus einen Bluttest für die Diagnostik entwickeln zu
können.
Literaturhinweis:
Gapp K, Jawaid A, Sarkies P, Bohacek J, Pelczar P, Prados
J, Farinelli L, Miska E, Mansuy IM: Implication of sperm RNAs
in transgenerational inheritance of the effects of early trauma
in mice. Nature Neuroscience, April 13, 2014, DOI: 10.1038/nn.3695
Stress
13. Mai 2016
Stress lässt nach: Vorgeburtliche Belastungen
können Schutz beim Baby fördern
Mütterlicher Stress und Depressivität
während der Schwangerschaft können möglicherweise
Schutzmechanismen beim Baby aktivieren. Dies lässt sich
aus bestimmten epigenetischen Veränderungen beim Neugeborenen
schliessen, wie Psychologen der Universität Basel mit
internationalen Kollegen im Fachmagazin «Social Cognitive
and Affective Neuroscience» berichten.
In ihrer Studie beobachteten die Forschenden, dass erhöhte
Konzentrationen mütterlicher Stresshormone, Belastungen
und depressive Symptome während der Schwangerschaft von
epigenetischen Veränderungen beim Kind begleitet waren.
Dadurch wird das Oxytocinrezeptor-Gen besser aktivierbar,
das eine wichtige Rolle bei sozialen Prozessen und der Anpassung
an Stress spielt. Der Mechanismus könnte darauf hinweisen,
dass die Babys in diesen Fällen besser mit Herausforderungen
und Belastungen fertig werden und mehr Resilienz entwickeln.
Schalter umprogrammiert
Ob ein Gen aktiviert werden kann oder nicht, hängt
unter anderem von Methylgruppen ab, die sich an die DNA anlagern
und wie Schalter funktionieren. Die Forschenden fanden, dass
Kinder von Müttern mit mehr Stress und depressiven Symptomen
bereits bei der Geburt eine reduzierte Methylierung des Oxytocinrezeptor-Gens
aufweisen. Dadurch wird das Gen besser aktivierbar, es können
also mehr Oxytocinrezeptoren produziert werden, an denen Oxytozin
seine Wirkung entfalten kann. Oxytocin beeinflusst nicht nur
das Verhalten zwischen Mutter und Kind während und nach
der Geburt, sondern auch allgemein soziale Interaktionen.
Für ihre Untersuchung begleiteten die Forschenden um
Prof. Gunther Meinlschmidt von der Fakultät für
Psychologie der Universität Basel 100 Mütter und
deren Babys während und nach der Schwangerschaft. Dabei
sammelten sie das Nabelschnurblut von 39 Neugeborenen; ebenso
bestimmten sie in Speichelproben die Konzentration des Stresshormons
Cortisol und werteten Fragebögen der Mütter zu belastenden
Ereignissen und psychischem Befinden aus. Da die Daten nur
bis zur Neugeborenenphase analysiert wurden, lässt sich
nicht sagen, welche langfristigen Folgen die epigenetische
Programmierung des Oxytocinrezeptors für die Kinder hat.
«Resilienzforschung erst am Anfang»
An der vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten
Studie beteiligt waren Forschende von der Universität
Basel, Ruhr-Universität Bochum, Universität Exeter,
McGill University Montreal, Ludwig-Maximilians-Universität
München, Universität Trier, Zürcher Hochschule
für Angewandte Wissenschaften und des Stresszentrums
Trier. Bereits bekannt ist, dass Belastungen der Mutter während
der Schwangerschaft das Risiko für psychische Störungen
und körperliche Erkrankungen beim Nachwuchs erhöhen.
Weniger Aufmerksamkeit hat die Wissenschaft bisher den möglichen
Schutzmechanismen des Kindes geschenkt.
«Die Resilienzforschung in diesem Bereich steht erst
am Anfang», erläutert Meinlschmidt. Die beobachteten
Zusammenhänge könnten erste Hinweise darauf geben,
dass Belastungen in der Schwangerschaft auch Schutzmechanismen
aktivieren können. «Nötig ist ein umfassenderes
Verständnis der psychobiologischen Prozesse, die es dem
Menschen erlauben, trotz Stress und Belastungen auch langfristig
und über Generationen hinweg gesund zu bleiben»,
so Meinlschmidt. Darauf aufbauend könne man versuchen,
Resilienzprozesse zu fördern, um der Entstehung psychischer
Störungen und körperlicher Erkrankungen vorzubeugen.
Originalbeitrag
Eva Unternaehrer, Margarete Bolten, Irina Nast, Simon Staehli,
Andrea H. Meyer, Emma Dempster, Dirk H. Hellhammer, Roselind
Lieb und Gunther Meinlschmidt
Maternal
adversities during pregnancy and cord blood oxytocin receptor
(OXTR) DNA methylation
Social Cognitive and Affective Neuroscience (2016), doi: 10.1093/scan/nsw051
Weitere Auskünfte
Prof. Gunther Meinlschmidt, Universität Basel, Fakultät
für Psychologie, Abteilung für Klinische Psychologie
und Epidemiologie,
Tel. +41 61 207 09 61, E-Mail: gunther.meinlschmidt@unibas.ch
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