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Notizen aus der Wissenschaft:


Stichwort: Künstliche Befruchtung

  Artikel:
> Ramponiert in der Retorte
> IVF and stillbirth: a prospective follow-up study
   
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Künstliche Befruchtung
08.03.2010 - Von Martina Lenzen-Schulte

Ramponiert in der Retorte

Nach künstlicher Befruchtung droht häufiger als nach natürlicher Zeugung der Verlust des Ungeborenen. Das lassen schon seit Jahren die zahlreichen verzweifelten Einträge auf den Kinderwunschseiten des Internets vermuten. Um wie viel höher das Fehlgeburtsrisiko tatsächlich ist, beziffert jetzt erstmals eine dänische Studie aus der Universitätsklinik in Aarhus. Forscher verschiedener Institute haben zwischen den Jahren 1989 und 2006 den Verlauf von 20166 Schwangerschaften verfolgt. Sie stellten fest, dass nach künstlicher Befruchtung die Rate an Fehlgeburten viermal so hoch war wie nach spontaner Empfängnis (“Human Reproduction“, doi: 10.1093/humrep/deq 023).

Wodurch kommt es zu vermehrten Fehlgeburten?

Die Studie räumt mit vielen Unklarheiten auf. Die Gesundheitsrisiken, die in der Vergangenheit im Zusammenhang mit einer künstlichen Befruchtung festgestellt wurden, hat man bislang vor allem den vielen Mehrlingsschwangerschaften angelastet.

Inzwischen ist jedoch offensichtlich, dass auch einzelne Kinder nach künstlicher Befruchtung häufiger zu früh, untergewichtig, unreif und mit mehr Missbildungen behaftet zur Welt kommen. Gleiches gilt, wie nun die neue Studie belegt, für die Wahrscheinlichkeit, eine Fehlgeburt zu erleiden, weil hier nur Einzelschwangerschaften miteinander verglichen werden.

Die neuen Befunde verschieben darüber hinaus das Schadenspotential weiter zu Lasten des Verfahrens der künstlichen Befruchtung. Immer wieder wurden die Gesundheitsschäden der Retortenkinder auch als eine Folge der Unfruchtbarkeit der Paare gedeutet. Denn die Krankheiten, die diese Paare unfruchtbar machten, beeinträchtigten auch Schwangerschaft, Geburt und Gesundheit der Nachkommen, lautete die Argumentation.
Nicht die Unfruchtbarkeit ist für Fehlgeburten verantwortlich

In der aktuellen Studie konnte man jedoch innerhalb der Paare, die zunächst keine Kinder bekamen, zwei Gruppen unterscheiden. Die einen ließen vergleichsweise rasch eine künstliche Befruchtung vornehmen, bei den anderen wurden nach längerer Wartezeit die Frauen schließlich spontan schwanger. Letztere hatten nun ähnlich wenige Fehlgeburten zu beklagen wie die Gruppe der von vorneherein als fruchtbar eingestuften Paare.
Infolgedessen ist offenbar nicht die Unfruchtbarkeit für die vermehrten Fehlgeburten verantwortlich, sondern viel eher die Manipulationen im Rahmen der künstlichen Befruchtung. Dazu zählen die Entnahme der Eizelle, die Befruchtung mit der Samenzelle, die Entwicklung im Brutschrank und das Wiedereinsetzen in die Gebärmutter.
Labor bietet keine perfekten Bedingungen

Vor allem entspricht das Labormilieu nicht den optimalen Bedingungen im Mutterleib. Die im Entstehen begriffenen Embryonen sind in der Petrischale nicht nur vermehrt oxidativem Stress durch aggressive Sauerstoffradikale ausgesetzt.

Wie eine im kommenden Monat in der Zeitschrift „Reproductive BioMedicine“ erscheinende Arbeit aus China zeigt, hat auch die Ungeduld der Labormediziner Folgen: Danach schadet es offenbar der Entwicklung der Embryonen, wenn sie zu oft aus dem Inkubator genommen werden.

Falls die Reproduktionsklinik die falsche Nährlösung, in der die Embryonen schwimmen, verwendet, kann das dazu führen, dass das Baby später untergewichtig ist. Das belegt eine Anfang dieses Jahres erschienene Arbeit, in der zwei Kulturmedien für Embryonen miteinander verglichen wurden (“Human Reproduction“, Bd. 25, S. 605).
Auch die Funktion der Plazenta ist unter den Bedingungen einer künstlich hervorgerufenen Schwangerschaft offenbar beeinträchtigt. Proteomanalysen zum Vergleich von Eiweißprofilen zeigen, dass der Stoffwechsel der Steroidhormone in der Plazenta nach einer Laborzeugung abnorme Muster aufweist (“Proteomics“, Bd. 8, S. 4344).

Frauen sollen gesunden Lebensstil nachweisen

Noch ist unklar, ob es solche Faktoren sind, die später zu den ebenfalls ungünstigen, aber weniger offensichtlichen Veränderungen im Zuckerstoffwechsel und beim Blutdruck von Kindern und Jugendlichen aus der Retorte beitragen.

Bei diesen Studien stellte sich ebenso wie in der aktuellen Analyse des Fehlgeburtsrisikos heraus, dass sich derartige Gesundheitsrisiken der Kinder nicht dadurch erklären lassen, dass die Mutter an Übergewicht leidet oder eine Neigung zu Bluthochdruck und Diabetes aufweist.

Umso verwunderter nimmt man jene Überlegungen zur Kenntnis, die einen „gesunden Lifestyle“ der Frau zur Vorbedingung für eine künstliche Befruchtung machen wollen. So jedenfalls liest sich das Papier der „European Society for Human Reproduction and Embryology“, das vor kurzem ebenfalls in der Zeitschrift „Human Reproduction“ (Bd. 25, S. 578) erschienen ist.

Danach seien Ärzte zwar nicht die Polizisten ihrer Patientinnen. Sie dürften aber gleichwohl verlangen, dass eine Frau mit Kinderwunsch sie davon überzeugte, dass sie ernsthaft versucht hätte, gesünder zu leben, etwa an Gewicht abzunehmen oder mit dem Rauchen aufzuhören. Ansonsten hätte der Arzt das Recht, ihr die Kinderwunschbehandlung zu verweigern. Ein Zyniker würde schlussfolgern, dass offensichtlich nur noch gesunden Frauen erlaubt sein soll, die mit Gesundheitsrisiken behafteten Retortenkinder zur Welt zu bringen.
Text: F.A.Z.

Zur Studie: http://humrep.oxfordjournals.org/content/25/5/1312.full.pdf+html?sid=78c54d26-92df-4fe7-ba51-e51a8550df21

Anmerkung:
Im Artikel ist von „Fehlgeburtsrisiko“ die Rede – die Studie spricht aber von „stillbirth“ – Totgeburt!
Wikipedia: Fehlgeburten werden in Frühaborte und Spätaborte unterteilt. Die Abgrenzung ist nicht einheitlich, häufig wird die 12. Schwangerschaftswoche als Trennzeit genommen. Ab einem Gewicht des Fötus von 500 g spricht man von einer Totgeburt. Dieses Gewicht ist ab der 22. SSW zu erwarten.[2] Fehlgeburten unterliegen anders als die Totgeburt in Deutschland nicht der standesamtlichen Meldepflicht.


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Künstliche Befruchtung
13.01.2010 - Studie

IVF and stillbirth: a prospective follow-up study

Dieser Artikel ist nur als PDF-Dokument verfügbar - Studie bitte hier downloaden.


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