Notizen aus der
Wissenschaft:
Stichwort:
Gleichgewicht
Gleichgewicht
05.02.2002 - Anthropologie
Aufrechter Gang fördert Intelligenz der
menschlichen Vorfahren
Gleichgewichtssinn muss gesamtes Raumzeitkoordinatensystem
verarbeiten
Mit dem aufrechten Gang und der damit verbundenen
Verfeinerung des Gleichgewichtssins entwickelte der Mensch
auch seine geistigen Fähigkeiten. Das ist die These von
Victor Smetacek, Meeresbiologe am Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut
für Polar- und Meeresforschung, die er in einem Essay
im Journal Nature (Bd. 415, S. 481) vorstellt.
Die aufrecht schreitenden Affen, die
ihrer Umwelt mit erhobenem Haupt begegneten, entwickelten
eine gänzlich andere Körperwahrnehmung und Weltsicht
als ihre auf vier Beinen schleichenden Vettern, schreibt Smetacek
in seinem Essay. Das verdeutliche sich zum Beispiel in dem
Angstgefühl, das ein Zweibeiner an einem Abgrund spürt,
im Gegensatz zu der größeren Sicherheit eines Vierbeiners.
Die Statik des menschlichen Körpers, die eine senkrechte
Wirbelsäule auf geraden Beinen ohne stützenden Schwanz
balanciert, sei im Tierreich einmalig, so Smetacek.
Das Gleichgewichtsorgan im Innenohr "misst" die
Veränderungen des menschlichen Körpers im Schwerefeld
zusammen mit dem Sehsinn und dem Tastsinn mit hoher Präzision.
Die zuständige Gehirnregion für das Gleichgewichtsorgan,
der "vestibulare Kortex", unterscheide sich von
den anderen Sinneszentren im Gehirn, schreibt Smetacek, da
er eng mit dem visuellen und sensorischen Kortex zusammenarbeite
und in der rechten Gehirnhälfte dominiere. Nach neuen
Untersuchungen spiele der vestibulare Kortex auch eine Rolle
für die Selbstwahrnehmung und die Kognition.
Nach Smetaceks Meinung ging die Feineinstellung des Gleichgewichtssinns
mit der Entwicklung feinmotorischer Fähigkeiten einher:
"Die Linie der Menschenaffen, die zu uns führte,
erlernte das Balancieren schrittweise: erst den Körper
auf zwei Füßen, dann Werkzeuge in den Händen
und schließlich Instrumente und Flugzeuge mit den Augen."
Als es gelang, mit den Händen das Gleichgewicht von Dingen
auszubalancieren, wurden die Grundlagen der Vernunft gelegt
und konnten anderen auch mitgeteilt werden. "Genauso
wie es ein geistiges Auge und ein geistiges Ohr gibt, muß
es auch ein geistiges Schwerefeld geben, das von den betreffenden
Sinnesorganen abgeleitet ist. Dies ist das abstrakte Raumzeitkoordinatensystem,
in dem Masse, Gleichgewicht und Beschleunigung verarbeitet
werden: die Grundlage der Naturwissenschaft", schreibt
der Forscher.
Gleichgewicht
09.08.2005 - Hirnforschung
Bewegung in der Balance
Gleichgewichtsorgan im Innenohr koordiniert
komplexe motorische Abfolgen
Trotz seines Namens ist das Gleichgewichtsorgan
im Innenohr nicht nur für die Balance zuständig:
Es trägt auch dazu bei, Bewegungen des Körpers präzise
zu steuern, haben zwei britische Neurowissenschaftler entdeckt.
Diese Funktion scheint insbesondere im Dunklen oder bei komplexen,
hoch-präzisen Bewegungsabfolgen wichtig zu sein, wie
sie ein Turner oder ein Artist im Zirkus vollführen.
Wenn sich jemand in einem dunklen Raum
bewegt, kann er sich nicht auf optische Eindrücke verlassen.
Daher nutzt das Gehirn Informationen von Ohren, Muskeln und
Haut, um sicher von A nach B zu gelangen. Aber auch das Gleichgewichtsorgan
spielt hierbei eine Rolle, entdeckten Brian Day und Raymond
Reynolds nun: Es registriert Kopfbewegungen – und daher
auch jede Bewegung des Körpers, bei der sich der Kopf
mitbewegt. Diese Informationen helfen dem Gehirn, korrigierend
auf Körperbewegungen einzuwirken.
Für ihr Experiment stellten Day und Reynolds sechs Freiwilligen
die Aufgabe, ihren Rumpf um 10 Grad seitlich zu neigen. Dabei
mussten sie einen Helm tragen, der das Sehen verhinderte,
außerdem sorgte eine starre Halskrause dafür, dass
Kopf und Rumpf nur gleichzeitig bewegt werden konnten. Nun
stimulierten die Forscher den Sinnesnerv des Gleichgewichtsorgans,
so dass dieser entweder mehr oder weniger Nervenimpulse aussendete.
Auf diese Weise täuschten sie dem Gehirn vor, dass sich
der Kopf mehr oder weniger schnell zur Seite bewege.
Dies hatte tatsächlich den Effekt, dass die Versuchsteilnehmer
ihre Bewegung korrigierten: Je nach Art des Signals bewegten
sie ihren Rumpf entweder schneller und weiter oder aber langsamer
und weniger weit zur Seite. Außerdem zeigte das Experiment,
dass die Signale des Gleichgewichtsorgans tatsächlich
eine korrigierende Funktion haben: Wenn sich die Probanden
nicht bewegten, blieben die künstlich gesetzten Impulse
ohne Effekt. Offenbar zieht der Körper immer dann das
Gleichgewichtsorgan mit zu Rate, wenn die Informationen der
anderen Sinne nicht ausreichen, schließen die Wissenschaftler
– entweder, weil der Input zu gering ist oder weil die
Bewegungen so komplex sind, dass zusätzliche Informationen
benötigt werden.
Brian Day, Raymond Reynolds (University College, London):
Current Biology, Bd. 15, S. 1390.
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