Notizen aus der
Wissenschaft:
Stichwort:
Autismus
Autismus
05.06.2010 - Psychologie
Urintest für Autismus
Störung verursacht bei Betroffenen
auch Änderungen im Stoffwechsel
Autismus bei Kindern könnte sich künftig mit
einem einfachen Urintest diagnostizieren lassen. Darauf deuten
die Ergebnisse britischer und australischer Forscher hin, die
im Urin von Kindern mit der Störung einen typischen chemischen
Fingerabdruck entdeckten. Die chemische Signatur geht auf einen
veränderten Stoffwechsel bei den betroffenen Kindern zurück.
Ein Urintest könnte daher helfen, die Störung früher
zu entdecken und beispielsweise eine Verhaltenstherapie einzuleiten.
Die Forscher analysierten für
ihre Studie den Urin von insgesamt 101 Kindern im Alter von
drei bis neun Jahren. Bei 39 von ihnen war bereits Autismus
diagnostiziert worden, 28 hatten einen Bruder oder eine Schwester
mit Autismus, und 34 Kinder waren von der Störung weder
selbst noch in der Familie betroffen. Die Wissenschaftler
entdeckten in den Urinproben der autistischen Kinder höhere
Werte des am Stoffwechsel beteiligten Taurins sowie eine typische
Zusammensetzung von Aminosäuren, Glutamaten und verschiedenen
Stoffwechselprodukten. Bei den Kindern mit autistischen Geschwistern
und den Kindern ohne Autismus in der Familie beobachteten
die Forscher hingegen eine davon abweichende, jeweils typische
chemische Signatur.
Die Ergebnisse ergänzen frühere
Untersuchungen, bei denen Wissenschaftler bei Autisten Veränderungen
in der Zusammensetzung von Darmbakterien entdeckt hatten,
die sich auch auf die Verdauung und den Stoffwechsel auswirken.
Wie jedoch der Zusammenhang zwischen der Störung und
den Stoffwechselveränderungen zustande kommt, ist noch
unklar. Neben genetischen Faktoren könnte hierbei auch
der häufig extreme Lebensstil autistischer Menschen eine
Rolle spielen, vermutet Jeremy Nicholson, einer der beteiligten
Wissenschaftler.
In weiteren Studien wollen die Forscher
nun den Zusammenhang zwischen Stoffwechsel und Autismus näher
untersuchen. Sie hoffen, so auch mehr über die Ursachen
der Störung selbst zu erfahren. Autisten haben häufig
größte Schwierigkeiten, in sozialen Kontakt mit
anderen Menschen zu treten. Wie diese Störung, bei der
auch genetische Faktoren eine Rolle spielen, jedoch genau
entsteht, ist noch nicht bekannt.
Ivan Yap (Imperial College, London) et
al.: Journal of Proteome Research
Autismus
21.12.2010 - Hirnforschung
Kein Talent zum Finden
Autisten haben Schwierigkeiten beim systematischen
Suchen
Autistische Kinder haben Schwierigkeiten, systematisch
nach etwas Bestimmtem zu suchen. Das hat ein britisches Forscherteam
durch Experimente herausgefunden. Kinder mit autistischen
Entwicklungsstörungen gehen demnach bei ihrer Suche deutlich
unsystematischer vor als gesunde Kinder, legen längere
Wege zurück und brauchen entsprechend mehr Zeit, um etwas
zu finden. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass dieses
Verhalten ihre Unabhängigkeit stark beeinträchtigt
und sie auch als Erwachsene Probleme haben werden, etwa die
Karotten im Supermarkt zu finden. Über ihre Studie berichten
die Wissenschaftler um Elizabeth Pellicano vom Centre for
Research in Autism and Education in London.
An der Studie nahmen 20 gesunde Kinder zwischen 8 und 14
Jahren teil sowie 20 autistische Kinder derselben Alterstufe.
Die Autisten, darunter sechs Kinder mit Asperger-Syndrom,
waren jedoch in Bezug auf ihre verbalen Fähigkeiten und
dem Verständnis für Aufgabenstellungen auf demselben
Stand wie ihre gesunden Altersgenossen. Für den Versuch
hatten die Wissenschaftler in einem abgedunkelten Raum insgesamt
49 kleine Lampen in den Boden eingelassen, die entweder grün
oder rot aufleuchten konnten. Ein Gegenstand war hinter einer
der grün erleuchteten Lampen versteckt. Die Kinder sollten
durch Drücken eines Knopfes an der Lampe ihre Vermutung
signalisieren, dass sich hinter dem Licht der Gegenstand verbirgt.
Erwischten sie die richtige Lampe, schaltete das Licht von
Grün auf Rot - und der Testdurchlauf war beendet. Drückten
sie die falsche Lampe, mussten sie unter den verbliebenen
grünen Lichtern weitersuchen. Der Test war so konzipiert,
dass sich der Gegenstand in 80 Prozent der insgesamt 40 Durchläufe
nur auf einer der Seiten des Raumes befand.
Die Forscher erfassten während der Tests die Wege der
einzelnen Kinder bei ihrer Suche. Dabei beobachteten sie,
dass die autistischen Kinder den statistischen Zusammenhang
nicht erkannten und zudem wesentlich chaotischer suchten -
obwohl viele Autisten eine besondere Vorliebe für Muster
und Regelmäßigkeiten haben. Die gesunden Kinder
suchten verhältnismäßig systematisch und peilten
schon nach wenigen Durchläufen eine Lampe auf der Seite
des Raumes an, auf der sich der Gegenstand mir größerer
Wahrscheinlichkeit befand. Die Autisten liefen hingegen oft
im Zickzack und brauchten entsprechend länger, um die
gesuchte Lampe zu entdecken. Die Studie legt nahe, dass autistische
Kinder Schwierigkeiten haben, im Alltagsleben systematisch
nach etwas Bestimmtem zu suchen, schließen die Wissenschaftler.
Vermutlich schränke dies ihre Unabhängigkeit auch
im Erwachsenenalter deutlich ein.
Elizabeth Pellicano (Centre for Research in Autism and Education
in London) et al.: PNAS, Bd. 107, Nr. 51
Autismus
12.05.2002 - Medizin
Gefangen im neuronalen Lärm
Autismus, das fehlende Interesse von Menschen an
sozialen Kontakten, das oftmals mit einer Hochbegabung einher
geht, ist möglicherweise keine Krankheit. Es könnte
auch ein Versuch der Natur sein, die Evolution des Menschen
voran zu bringen, berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung
am Sonntag (12. Mai) im Wissenschaftsteil.
Die ersten beiden Jahre von Steffis Kindheit (Name geändert)
verliefen weitgehend normal. Dann fielen den Eltern Besonderheiten
auf: Das Mädchen spielte nicht mit Puppen oder Stofftieren,
sondern am liebsten mit einem Aletelöffel, den es in
immer gleicher Weise mit den Fingern der rechten Hand hin-
und herbewegte. Sie drehte die Räder eines Plastikautos
und war dabei so in sich versunken, daß sie die Welt
um sich herum komplett vergaß.
Steffi hatte kein Bedürfnis nach Körperkontakt,
nach Schmusen und Drücken. Und sie geriet bei lauten
Geräuschen wie brummenden Bohrmaschinen in Panik. Schließlich
fühlte sie sich nur noch in ihrer Ecke im Kinderzimmer
wohl. Erst nach Jahren der Odyssee durch die Wartezimmer verschiedener
Ärzte - die einen sagten den Eltern, sie sollten doch
froh sein, ein so ruhiges Kind zu haben, die anderen schickten
sie zu Kollegen - diagnostizierte ein Mediziner die richtige
"Krankheit": Steffi ist Autistin. Die frühkindliche
Form dieser Krankheit zeigt sich spätestens bis zum dritten
Lebensjahr und tritt schätzungsweise bei 4 bis 5 von
10.000 Kindern auf, Jungen sind drei- bis vierfach häufiger
betroffen. Forscher vermuten, daß sowohl die Gene als
auch die Umwelt die Ursache sein könnten. Doch bislang
ist nicht einmal klar, ob es sich es sich um eine einheitliche
Erkrankung handelt oder um verschiedene Formen, die ähnliche
Symptome zeigen.
Jetzt haben zwei neue Studien Steine in dieses unvollständige
Puzzle gefügt: Die eine weist Besonderheiten in der Gehirnstruktur
von Autisten nach, die andere offenbart einen Zusammenhang
zwischen Autismus und dem Immunsystem. Forschern war schon
länger aufgefallen, daß unter autistischen Kindern
ungewöhnlich viele an Darmentzündungen erkrankt
waren. Dieser Beobachtung gingen Mediziner der Royal Free
& University College Medical School (London) jetzt in
einer immunologischen Untersuchung an 36 Kindern mit Darmentzündung
nach. 25 davon waren autistisch, 11 "normal". Zum
Vergleich untersuchten die Forscher noch 18 gesunde Kinder.
Die in der Zeitschrift Molecular Psychiatry veröffentlichten
Ergebnisse zeigten bei 23 der 25 Autisten Anzeichen einer
Autoimmunreaktion, also von Attacken des Immunsystems auf
körpereigene Zellen. Bei den übrigen, nicht-autistischen
Kindern fanden sich keine Hinweise auf ein solches Autoimmun-Geschehen.
Die Mediziner vermuten, daß das Immunsystem der Autisten
auch Gehirnzellen angreifen und so die Symptome bewirken könnte.
Experimente an Mäusen hatten gezeigt, daß Autoimmunkrankheiten
zu neurologischen Schäden und Verhaltensänderungen
führen können. Doch auf den Menschen lassen sich
solche Beobachtungen nicht so ohne weiteres übertragen.
Anders ist es mit den Ergebnissen der vor kurzem in der Zeitschrift
Neurology veröffentlichten Studie. Sie könnten die
Symptome der Erkrankung erklären. Autisten können
keine normale Beziehung zu anderen Menschen herstellen, sie
vermeiden Körperkontakt und entwickeln Stereotypien -
immer wiederkehrende, einförmige Bewegungen. Sie wiederholen
an sie gerichtete Fragen, sind oft überempfindlich, zum
Beispiel gegenüber Lärm, und haben Schwierigkeiten,
Wahrnehmungen zu interpretieren. Andererseits können
sie auch erstaunliche Leistungen vollbringen, zum Beispiel
riesige Zahlen miteinander multiplizieren. Oder sie sind überdurchschnittich
musikalisch. So konnte Steffi Lieder wie selbstverständlich
mit englischen oder italienischen Texten wiedergeben.
Manuel F. Casanova vom Downtown VA Medical Center in Augusta
(Georgia) und Kollegen des Medical College of Georgia sowie
der University of South Carolina konzentrierten sich in ihrer
Studie auf die Gehirnstruktur. Dazu hatten die Mediziner die
Gehirne von verstorbenen Autisten untersucht und sie mit denen
von normalen Personen verglichen. Unter dem Mikroskop hatten
die Neurologen Gewebeschnitte aus drei verschiedenen Arealen
der Großhirnrinde analysiert. Das Augenmerk der Forscher
galt Strukturen, die als Minicolumns bezeichnet werden. Diese
Minisäulen sind kompliziert aufgebaute Basismodule der
Hirnrinde. Eine jede besteht aus einer Gruppe zusammengehöriger
Nervenzellen, die sich säulenförmig aus der Tiefe
des Gehirns zu den oberen Schichten der Rinde ziehen und dabei
vielfältige neuronale Verknüpfungen ausprägen.
In den Gewebeschnitten entdeckten die Forscher in allen drei
Gebieten dasselbe: Bei den Autisten waren die Minisäulen
schmaler als bei den Vergleichspersonen und enthielten weniger
Zellen. Die Gesamtzelldichte in der Hirnrinde aber war annähernd
gleich - die Autisten hatten also mehr Minisäulen in
ihrem Gehirn als die normalen Probanden. Mit diesem Befund,
sagen die Neurologen, lassen sich möglicherweise einige
der autistischen Auffälligkeiten erklären. Die Minicolumns
enden nämlich im Thalamus, jenem Bereich des Zwischenhirns,
der als Umschaltstelle für Sinnesreize und Körperempfindungen
dient und der Empfindungen mit Gefühlstönungen verknüpft.
Die Neurologen nehmen an, daß jede der Säulen in
bestimmter Weise mit Nervenzellen des Thalamus verbunden ist,
so daß Reize gezielt weitergeleitet werden. Wenn nun
die Anzahl der Minisäulen vermehrt ist, ohne daß
die zusätzlichen Säulen mit den Neuronen im Thalamus
korrekt verdrahtet sind, so spekulieren die Forscher, könnten
Sinnesreize ungezielt aus dem Thalamus in viele dieser Minisäulen
streuen und so zu einem neuronalen Lärm führen.
Hinzu kommt, daß mit der größeren Zahl der
Minicolumns offenbar keine entsprechende Vermehrung von hemmenden
Nervenfasern bei den Autisten einherging. Dies würde
die Reizüberflutung der Autisten erklären. Denn
die hemmenden Nervenzellen sorgen dafür, daß sich
nur wichtige Reize durchsetzen können.
Die Forscher vermuten hinter den anatomischen Besonderheiten
der Autisten eine Laune der Natur. "Im Verlauf der Evolution
hat sich die Oberfläche der Hirnrinde stark vergrößert,
während die Größe der Minisäulen etwa
gleich blieb", erklärt Casanova. "Es entstanden
größere Gehirne, die mehr von diesen Basiseinheiten
enthalten und damit eine größere Verarbeitungskapazität
und höhere Komplexität erlauben." Und im Verlauf
der Evolution wurden die zusätzlichen Nervenzell-Säulen
in die Funktionen des Gehirns integriert.
Bei Autisten hat sich nun ein weiteres Mal die Zahl dieser
Basiseinheiten gesteigert, doch die Evolution hat nicht die
Zeit gefunden, diese zusätzlichen Strukturen korrekt
zu verdrahten. Das Gehirn von Autisten wäre nach dieser
Theorie dem der Nichtautisten gewissermaßen einen Schritt
voraus - einen Schritt zuviel, weil die zusätzliche Kapazität
nicht richtig eingebettet ist. Das könnte der Grund für
die Unfähigkeit von Autisten sein, Sinneseindrücke
so zu verarbeiten wie andere Menschen.
Solch eine Hypothese liefert eine Erklärung, aber keine
Heilungsaussichten für autistische Kinder. Aber vielleicht
wäre letzteres auch gar nicht in deren Sinn: "Autistische
Personen haben Nachteile, aber einige leben ein sehr glückliches
und erfülltes Leben", schreibt der amerikanische
Neurologe Jared Blackburn: "Viele autistische Leute würden
es nicht wollen, 'geheilt' zu werden, da dies gleichbedeutend
damit wäre, ihre Persönlichkeit auszulöschen
und sie durch eine andere zu ersetzen". Mit anderen Worten:
Es ist eine Definionsfrage, ob die Besonderheit der Autisten
eine Krankheit genannt werden sollte. Vielleicht hilft die
neue Sicht wenigstens, das Zusammenleben zwischen Autisten
und normalen Menschen zu erleichtern.
Autismus
06.05.2005 - Medizin
Bei Autisten hat auch das Immunsystem Kommunikationsprobleme
Das Körperabwehrsystem autistischer
Kinder bildet ungewöhnlich wenige Botenstoffe mit einer
veränderten Zusammensetzung
Das Immunsystem autistischer Kinder reagiert anders
als das Immunsystem gesunder Kinder. Das haben amerikanische
Forscher in einer Studie mit 30 Kindern mit Autismus herausgefunden.
Weitere Studien sollen nun Aufschluss darüber geben,
ob das Immunsystem für die Krankheit an sich eine Rolle
spielt.
In ihrer Studie isolierten die Forscher Immunzellen aus dem
Blut von 30 autistischen und 26 gesunden Kindern im Alter
von zwei bis fünf Jahren. Dann setzten die Wissenschaftler
diese Zellen dem Pflanzenlektin PHA sowie bakteriellen und
viralen Erregern aus, die normalerweise bei Immunzellen eine
Reaktion auslösen.
Als Antwort auf die bakteriellen Erreger produzierten die
Zellen der Kinder mit Autismus deutlich weniger Zytokine als
die Zellen gesunder Kinder. Zytokine dienen als Botenstoffe
für die Immunzellen und ermöglichen die Kommunikation
zwischen diesen. Zudem haben sie starke Auswirkungen auf das
Zentrale Nervensystem und beeinflussen so auch den Schlaf,
die Fieberreaktion sowie die Gemütsverfassung und das
Verhalten von Menschen.
Weiter konnten die Forscher beobachten, dass die Immunzellen
autistischer Kinder als Reaktion auf das Pflanzenlektin PHA
jedoch abhängig vom Zytokintyp unterschiedliche Zytokinmengen
produzierten: Bestimmte Zytokine wurden im Vergleich zu gesunden
Kindern vermehrt produziert, andere weniger häufig.
Wie sich die Zytokine auf die Entwicklung von Autismus auswirken,
wollen Forscher nun untersuchen. "Wenn wir den Zusammenhang
zwischen der veränderten Immunantwort und Autismus verstehen,
könnte uns das große Vorteile bei der Früherkennung,
Prävention und Behandlung dieser Krankheit bringen",
sagt Studienleiterin Van de Water. Weitere Studien sollen
Aufschluss darüber geben, ob die entdeckten Unterschiede
in der Zytokinproduktion speziell bei bestimmten Gruppen von
Autisten vorkommen, wie zum Beispiel bei Kindern, die schon
sehr früh autistische Merkmale zeigen. Zudem wollen die
Forscher bestimmte Zellpopulationen genauer untersuchen, die
für die unterschiedlichen Immunantworten bei autistischen
und gesunden Kindern verantwortlich sein könnten.
Judy Van de Water (Universität von Kalifornien, Sacramento)
et al.: Beitrag beim Internationalen Treffen für Autismus-Forschung
(IMFAR), Boston
Autismus
09.05.2006 - Medizin
Pausen ohne Erholungswert
Studie: Autisten horchen in Ruhephasen
nicht in sich hinein, sondern unterdrücken die wichtige
Selbstreflexion
Das Gehirn von Autisten kennt keine Pausen: Es schaltet
in Ruhephasen nicht wie bei gesunden Menschen von einem Input-
in einen Verarbeitungsmodus, in dem vorangegangene Eindrücke
analysiert, reflektiert und abgespeichert werden, haben amerikanische
Forscher entdeckt. Vielmehr verharrt es in einem Zustand,
in dem diese Selbstreflexion zugunsten einer starken Konzentration
auf äußere Eindrücke unterdrückt ist.
Die fehlende Orientierung des Gehirns nach innen könnte
einer der Gründe dafür sein, dass Autisten häufig
so große Defizite im zwischenmenschlichen Verhalten
und der Kommunikation haben, erklären die Wissenschaftler.
Wer sich ausruht und seine Gedanken treiben lässt,
blickt unbewusst nach innen. In einem solchen Moment tauchen
vor dem geistigen Auge häufig gewohnte Dinge und die
Gesichter vertrauter Menschen auf. Verantwortlich dafür
ist ein Netzwerk aus verschiedenen Hirnregionen, das in Ruhephasen
zu arbeiten beginnt und für die Verarbeitung von Emotionen,
die Wahrnehmung und Beurteilung von sozialen Kontakten, die
Einordnung der eigenen Person sowie die Vertrautheit mit anderen
Menschen zuständig ist. Dieses Netzwerk wird in dem Moment
abgeschaltet, in dem sich der Mensch auf eine anspruchsvolle
geistige Aufgabe und damit wieder auf die Außenwelt
konzentriert.
Schon früher gab es Hinweise darauf, dass diese Abfolge
von Input und Verarbeitung bei Autisten nicht richtig funktioniert.
So sehen Autisten in Ruhephasen beispielsweise völlig
andere Dinge vor sich als gesunde Menschen. Auch weist ihr
Gehirn häufig Veränderungen auf, die Teile des Netzwerks
betreffen. Um diese Unterschiede genauer zu charakterisieren,
verglichen Daniel Kennedy und seine Kollegen nun die Gehirnaktivitäten
von 15 Autismuspatienten mit denen von 14 Freiwilligen ohne
diese Entwicklungsstörung, sowohl in Ruhephasen als auch
während einiger Konzentrationsübungen. Das Ergebnis:
Die typische Ruhephasenaktivität war bei den autistischen
Probanden sehr viel schwächer ausgeprägt als bei
der Kontrollgruppe. Je größer die sozialen Defizite
der Betroffenen dabei waren, desto größer waren
auch die Abweichungen ihrer Gehirnaktivität.
Möglicherweise konzentrieren sich Autisten auch in Ruhephasen
so stark auf ihre häufig zwanghaften Gewohnheiten und
Interessen, dass die Aktivität des Ruhenetzwerkes ständig
unterdrückt ist, glauben die Forscher. Ob die daraus
folgende fehlende Selbstreflexion jedoch die Ursache für
die sozialen und emotionalen Defizite ist, können sie
noch nicht sagen. Genauso sei es möglich, dass die ungewöhnliche
Gehirnaktivität eine Folge des gestörten Sozialverhaltens
ist. Welcher Zusammenhang tatsächlich besteht, soll nun
in weiteren Studien geklärt werden.
Daniel Kennedy (Universität von Kalifornien, San Diego)
et al.: PNAS, Online-Vorabveröffentlichung, DOI: 10.1073/pnas.0600674103
Autismus
16.10.2006 - Hirnforschung
Kommunikationsbarriere im Gehirn
Bei Autisten verständigen sich die
Hirnareale anders als bei Gesunden
Autismus basiert auf einem Kommunikationsproblem
im Gehirn, legt eine Studie amerikanischer Forscher nahe:
Bestimmte Gehirnregionen scheinen bei Autisten anders miteinander
zu kommunizieren als bei Gesunden. Das haben die Wissenschaftler
mithilfe extrem genauer Messungen der Gehirnströme, des
so genannten EEG, entdeckt. Dabei ist der Austausch zwischen
einigen Regionen stärker als bei Vergleichspersonen ohne
Autismus, zwischen anderen Regionen jedoch schwächer.
Die Wissenschaftler untersuchten 18 Autisten und 18 gesunde
Vergleichspersonen im Alter zwischen 19 und 38 Jahren. Teilnahmevoraussetzung
war ein Intelligenzquotient von mindestens 80. Die Forscher
brachten insgesamt 124 Elektroden auf der Kopfhaut jedes Probanden
an und konnten so winzige elektrische Ströme des Gehirns,
die durch die Aktivität der Nervenzellen entstehen, räumlich
präzise erfassen. Die Probanden mussten nichts weiter
tun als entspannt auf einem Stuhl zu sitzen und die Augen
geschlossen zu halten.
In zwei Bereichen unterschieden sich die Autisten von Gesunden,
stellten die Forscher fest: Erstens zeigten sie in der linken
Gehirnhälfte, die vor allem für Sprache zuständig
ist, eine stärkere Aktivität in niedrigen Frequenzbereichen,
dem Theta- und Delta-Bereich. Dies könnte die Schwierigkeiten
erklären, die Autisten bei der Kommunikation mit anderen
Menschen haben, erklären die Forscher. Zum anderen waren
Verbindungen zwischen dem Stirnhirn und den übrigen Teilen
des Gehirns bei den Autisten weniger aktiv. Dies könnte
sich wiederum darauf auswirken, wie gut Aufmerksamkeit und
Verhalten gezielt gesteuert werden können.
Das Forscherteam hofft, aus seinen Ergebnissen auch praktische
Konsequenzen ziehen zu können. Das Aktivitätsmuster,
das die Forscher bei den Autisten beobachtet haben, sei relativ
typisch, erklären die Forscher. Messungen des EEG könnten
daher möglicherweise dazu beitragen, Autismus bei Kindern
frühzeitig zu erkennen, so dass rechtzeitig mit Fördermaßnahmen
begonnen werden kann.
Die Ergebnisse der Forscher stimmen auch mit anderen Studien
überein, in denen Autisten im Magnetresonanztomographen
untersucht wurden. Mit diesem Verfahren kann das ganze Gehirn
bildhaft aufgenommen werden und die Aktivität einzelner
Regionen mit der von Gesunden verglichen werden. Allerdings
kann mithilfe der von den Amerikanern verwendeten Methode
die Art der Kommunikation zwischen den Hirnzellen genauer
bestimmt werden.
Michael Murias (Universität Washington) et al: Beitrag
auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Neurowissenschaften,
Atlanta
Autismus
23.11.2001 - Hirnforschung
Gestresste Schwangere bekommen häufiger
autistische Kinder
Starker Stress der Mutter in der Schwangerschaft
kann das Risiko für Autismus bei Kindern erhöhen.
Das berichten amerikanische Hirnforscher auf dem Jahrestreffen
der Neurologischen Gesellschaft in San Diego.
Belastende Ereignisse wie der Tod eines geliebten Menschen
oder der Verlust des Arbeitsplatzes können die Entwicklung
des Gehirns der Ungeborenen beeinflussen und so zu Autismus
führen, so die Wissenschaftler um David Beversdorf von
der Staats-Universität Ohio. Bisher sahen Wissenschaftler
die Gründe für die Krankheit vor allem in einem
Defekt des Erbguts.
Die Wissenschaftler hatten 188 Frauen mit autistischen Kindern
über den Verlauf ihrer Schwangerschaft befragt. Sie fanden
heraus, dass diese Mütter zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche
häufig durch schwere Schicksalsschläge belastet
waren. In dieser Phase der Schwangerschaft entwickelt sich
ein Teil des Gehirns, der bei Autisten anders ausgebildet
ist.
Autismus ist eine Persönlichkeitsstörung, bei der
die Patienten bereits im Säuglingsalter unfähig
sind, Gefühlsbeziehungen zu anderen Menschen aufzubauen.
Sie kapseln sich von der Umgebung ab und leben in ihrer eigenen
Gefühlswelt. Außerdem leiden Autisten unter Sprachstörungen
und entwickeln eingeschränkte, sich wiederholende Verhaltensmuster.
Autismus
30.03.2009 - Psychologie
Von Lippen und Lauten
Autisten schauen lieber auf die Mundbewegungen
Autisten achten bei ihrem Gegenüber nicht auf
Gestik oder Mimik, sondern konzentrieren sich auf den Mund.
Dadurch entgehen ihnen viele wichtige Informationen, folgern
amerikanische Forscher. Während Kinder normalerweise
bereits kurz nach der Geburt auf die Bewegungsmuster ihrer
Eltern und anderer Personen achten, scheint diese wichtige
Fähigkeit bei autistischen Kindern bereits sehr früh
verloren zu gehen. Ami Klin und ihre Kollegen von der Yale
University School of Medicine in New Haven fanden auch heraus,
was die Kinder an Mündern so fasziniert: die sogenannte
Lippensynchronität, das zeitliche Übereinstimmen
der Lippenbewegungen mit den hervorgebrachten Lauten.
Schon lange ist bekannt, dass Autisten direkten Blickkontakt
mit ihrem Gegenüber vermeiden. Warum sie stattdessen
lieber auf den Mund einer Person schauen, fanden die Forscher
eher zufällig heraus: Um zu testen, wie gut autistische
Kinder Bewegungsmuster erkennen, zeigten sie Zweijährigen
einen kurzen Film. Eine Art Strichmännchen erzählt
darin zunächst eine Geschichte und beginnt dann einen
Reim aufzusagen. Beim Aufsagen des Reims klatscht die Figur
rhythmisch in die Hände. Die Forscher zeigten den Autisten
auf einem geteilten Bildschirm links den Originalfilm und
rechts denselben Film auf dem Kopf stehend und rückwärts
abgespult. Der Ton stammte in beiden Fällen vom Originalfilm
und lief ganz normal vorwärts.
Während die Figur sprach, wechselte der Blick der autistischen
Kinder immer wieder zwischen den beiden Filmen hin und her.
Ganz im Gegensatz zu einer Vergleichsgruppe mit gleichaltrigen
normal entwickelten Kindern, die eindeutig die richtig herumstehende
Figur bevorzugte. Doch dann wurde die Aufmerksamkeit der autistischen
Kinder plötzlich von der rechten, auf dem Kopf stehenden
Figur gefesselt: Diese begann gerade damit, in die Hände
zu klatschen – da der Film rückwärts ablief,
klatschte sie einige Sekunden früher als die richtig
herum stehende Figur auf der linken Seite.
Der rhythmischen Bewegungen zogen die autistischen Kinder
in ihren Bann – bis auch die richtig herum stehende
Figur auf der linken Seite zu klatschen begann: Die Übereinstimmung
der rhythmischen Bewegungen und der rhythmischen Sprechweise
faszinierte die Kinder noch mehr als das Klatschen allein.
In dieser Faszination für Synchronität sehen die
Forscher daher den Grund, dass Autisten ihrem Gegenüber
beim Sprechen am liebsten auf den Mund sehen.
Für das soziale Miteinander geben Gesichtsausdrücke
und Gesten wichtige Informationen: Der Gang verrät eine
bekannte Person selbst dann, wenn das Gesicht nicht zu erkennen
ist. Ein Lächeln, eine hochgezogene Augenbraue oder eine
geschüttelte Faust liefern Hinweise auf den emotionalen
Zustand eines Menschen und helfen, dessen nächsten Aktionen
abzuschätzen. Schon kurz nach der Geburt lernt ein Kind,
diese Bewegungsmuster einzuschätzen.
Nicht so bei autistischen Kindern. Frühkindlicher Autismus
ist eine Entwicklungsstörung, bei der verschiedene Teile
des Gehirns nicht richtig zusammenarbeiten und vor allem die
soziale Interaktion mit der Umwelt stark beeinträchtigt
ist. In der Folge kapseln sich autistische Kinder stark von
ihrer Umwelt ab. Viele Forscher und Mediziner vermuten, dass
bei ihnen die sogenannten Spiegelneuronen nicht genügend
aktiviert werden. Diese Neuronen ermöglichen es, andere
Menschen nachzuahmen und sich in den Gegenüber hineinzuversetzen.
Ami Klin (Yale University School of Medicine, New Haven)
et al, Nature (Online-Vorabveröffentlichung, doi: 10.1038/nature07868)
Autismus
30.04.2002 - Medizin
Forscher vermuten hinter Autismus eine Autoimmun-Krankheit
Besserung der Symptome nach Behandlung
einer Darmentzündung
Womöglich hängt Autismus mit einer Autoimmunerkrankung
des Darms zusammen. Darauf weisen Studienergebnisse einer
englischen Forschergruppe hin, die eine häufig auftretende
Darmerkrankung bei autistischen Kindern untersuchte. Die überraschende
Entdeckung veröffentlichte das Team am 29. April in der
Fachzeitschrift Molecular Psychiatry.
Bis heute streiten sich Forscher, ob Autismus eine eigenständige
Krankheit oder das Resultat einer Reihe verschiedener krankhafter
Veränderungen ist. Ebenso ungeklärt bleibt der Anteil
genetischer und umweltbedingter Einflüsse auf den Autismus.
Torrente und seine Kollegen von der Royal Free & University
College Medical School untersuchten eine neuartige entzündliche
Darmerkrankung bei autistischen Kindern mit Asperger-Syndrom.
Hierbei fanden sie Hinweise auf eine Autoimmunerkrankung.
Die betroffenen Kinder besaßen spezifische Antikörper
gegen körpereigene Zellen der Darmschleimhaut. Zudem
tummelte sich eine erhöhte Anzahl von T-Zellen in der
entzündeten Darmwand und die Zellteilungsrate in der
Darmschleimhaut war erhöht. Betroffen war insbesondere
der Dickdarm. Die Autoren fanden bei nicht-autistischen Kindern
kein ähnliches Muster an Symptomen, weder bei geistig
zurückgebliebenen noch bei Kindern mit der entzündlichen
Darmerkrankung Zöliakie.
Inwieweit die Autoimmunerkrankung und Autismus ursächlich
zusammenhängen, konnten die Autoren nicht beantworten.
Jedoch berichtete eine andere Forschergruppe, dass sich die
geistigen Fähigkeiten einiger autistischen Kinder deutlich
besserten, nachdem ihre Darmentzündung behandelt worden
war. Sollte sich herausstellen, dass die Autoimmunantwort
zum Autismus beiträgt, könnten daraus neue Behandlungsmöglichkeiten
für autistische Kinder erwachsen. Insbesondere Kinder
mit Asperger-Syndrom könnten hiervon profitieren, denn
bei dieser milden Form setzen die autistischen Symptome erst
im zweiten bis dritten Lebensjahr ein. Möglicherweise
lässt sich die Krankheit im Anfangsstadium noch bekämpfen,
schreiben die Forscher.
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