Die Kaiserschnittgeburt
im Erleben des Kindes
von Klaus Käppeli, St Gallen. Vortrag am
26.09.2009 in Zürich.
Klaus Käppeli ist Psychotherapeut mit Praxis für
somatische Psychotherapie in St. Gallen
Würdigung: Meine Ausführungen
sind die Früchte von Begegnungen mit meinen Lehrern Ray
Castellino und William Emerson, mit kleinen und grossen Menschen
in meiner Praxis. Ihnen allen gilt mein Dank.
Statistik: Der Trend zu Kaiserschnittgeburten
ist steigend. Vielerorts bereits über 33%.
Körperliche und emotionale Erfahrungen
1. Primäre Sectio oder geplanter Kaiserschnitt
ist ein Eingriff ohne vorausgehende Wehen. Er wird auf Wunsch
der Mutter (Wunschkaiserschnitt) oder wegen medizinischer
Indikation vorgenommen. Das Kind kann Schwindel, Desorientierung,
Wut, Auflehnung, Ohnmacht und Ausgeliefert sein empfinden.
Es erlebt einen Einbruch in seine Welt mit einem Schock für
das gesamte Nervensystem (Jane English). Psychisch und körperlich
sind weder Mutter noch Kind bereit für die Geburt, auch
beim Wunschkaiserschnitt. Der Körper der Mutter will
das Kind noch nicht hergeben und das Kind selbst fühlt
sich noch nicht bereit für die Ablösung. Es fehlt
die körperliche Erfahrung, dass sie den Weg aus dem Labyrinth
selbst finden.
2. Sekundäre Sectio oder Notfallkaiserschnitt
wird durchgeführt, wenn für Mutter und/oder Kind
Lebens-gefahr besteht. Nach Einsetzen der Wehen muss der Geburtsprozess
abgebrochen werden. Dieser Abbruch kann beim Baby Gefühle
wie Unmut, Wut, Ohnmacht, Panik und Hilflosigkeit hervorrufen.
3. Phasen einer Sectio
• Periduralanästhesie (PDA) / Narkose:
Das Baby erlebt einen Beziehungsabbruch. Die Trennung geschieht
plötzlich und unerwartet. Das Kind fühlt Angst und
glaubt, die Mutter sei tot. Es kommt zu einer schockartigen
Überflutung des sensorischen (Empfindungs-), motorischen
(Bewegungs-), emotionalen (Gefühls-) und kognitiven (Denk-)
Systems des Babys im Geburtsablauf (Emerson). Bei der Narkose
wirkt der Schock oft noch Tage nach der Geburt. Bei der PDA
ist das Bewusstsein der Mutter vorhanden, bei der Narkose
ist der ganze Körper inaktiv. Letzteres verstärkt
beim Kind das Gefühl von Verlassensein.
• Öffnen des Uterus:
Ö ffnen des Bauches der Mutter und Herausheben des Kindes
geschehen sehr schnell. Die Berührungen erlebt das Kind
als kalt, unpersönlich, hastig und schmerzhaft. Grenzen
und Gefühle werden nicht respektiert. Der Schock beim
Herausheben verursacht häufig Schreck- und Angst-reaktionen.
Die Zeit für die Verarbeitung fehlt. Durch den Druckabfall
beim Öffnen des Uterus wird der Organismus des Babys
überfordert, was zu Orientierungs- und Bindungsschwierigkeiten
führen kann. Beim Durchtrennen der Gebärmutterwand
wird die Austreibungsenergie in der Uteruswand gelähmt
und inaktiv gemacht. Das kann das Bonding zum Kind beeinflussen.
Dazu tragen auch die niedrigen Kate-cholaminwerte im Nabelschnurblut
bei. Eindringen in den persönlichen Raum: Das Kind empfindet
das Vorgehen als Rettung und Eindringen. Gefühlsambivalenz
und Loyalitätskonflikt können die Folge sein: Das
Baby kann sich nicht wehren. Es fühlt sich ohnmächtig.
• Nabelschnurdurchtrennung:
Die pulsierende Nabelschnur wird sofort durchtrennt. Für
das Baby, oft schmerzhaft, bedeutet es eine abrupte Trennung
von der Mutter gegen seinen Willen. Das kann beim Kind grosse
Wut und Verlassenheitsgefühle zur Folge haben.
• Die Geburt ist unvollendet für
Mutter und Kind. Ein natürlicher Ablauf wird unterwegs
abgebrochen. Das Baby hat keine Zeit sich zu entscheiden.
Wut und Panik zeigen sich oft im Weinen. Das Kind fühlt
sich in der Welt fremd. Es glaubt, die Mutter entmachtet und
ihr Schmerzen zugefügt zu haben. Seine Impulse und Stossbewegungen
sind nicht gefragt.
Erste Hilfe für Kind, Mutter und Vater vor und
nach einer Sectio
Vor dem Kaiserschnitt:
Eltern müssen über medizinische Massnahmen und
über Wirkung und Erleben des Kaiserschnitts informiert
werden. Sie brauchen Zeit für Gefühle und
Gedanken. Ebenso sollen dem Kind
die einzelnen Schritte der Entbindung mitgeteilt werden und
wie es diese erleben könnte. Die Traumati-sierung wird
reduziert. Die Voraussetzung für eine spätere Verarbeitung
wird geschaffen. Untersuchungen haben gezeigt, dass der Körper
weniger Stresshormone produziert, wenn er auf das Ereignis
vorbereitet wird.
Nach dem Kaiserschnitt:
Der Körperkontakt ist in den ersten
Wochen äusserst wichtig (Haut – zu – Haut
– Kontakt. Das gibt dem Kind Sicherheit und Vertrauen.
Intensität des Kontaktes soll das Kind bestimmen, da
Kaiserschnittkinder oft berührungsempfindlich
sind. Über den Körperkontakt wird das Bonding,
die innige Verbindung zwischen Mutter und Kind, gestärkt
und vertieft. Das Stillen ist die früheste
und intensivste Beziehung zwischen Mutter und Kind ausserhalb
des Uterus. Wegen des taktilen Schocks und der Orientierungsprobleme
kann es zu Schwierigkeiten beim Stillen kommen. Die durch
die Wirkung der PDA gestörte Ausschüttung des Oxytozins
kann eine Ursache der Probleme sein. Das Kind muss sich erst
wieder orientieren. Die Babymassage (z.B.
in der Tradition von Eva Reich) hilft schwierige Geburtserfahrungen
zu verarbeiten und Traumatisierungen (z.B. Trennung von Mutter
und Kind) abzubauen. Über die Stimulation werden die
Lebensfunktionen harmonisiert. Diese Massage ist für
das Kind wie für die Mutter gedacht.
Begegnungen langsam ausführen und Pausen
einlegen. Dadurch wird ein Gegengewicht zum schnellen Entbinden
beim Kaiserschnitt gesetzt. Das Kind wird in seiner Absicht
unterstützt, den natürlichen Geburtsweg
zu gehen.
Therapeutische Sitzungen mit Eltern und Kind
zur Verarbeitung der traumatischen Erfahrungen sind empfehlenswert.
In langsamen Schritten werden die Ereignisse aufgegriffen
und den Gefühlen Raum gegeben. So erfährt der Geburtsweg
eine Form der Würdigung und Anerkennung. Mit der Simulation
einer vaginalen Geburt wird das Erlebte in einen neuen Rahmen
gesetzt (Repatterning). Die cranio-sakrale Körperarbeit
setze ich unterstützend ein.
Das Kaiserschnittkind im Alltag (eine Auswahl
von Merkmalen, die vorkommen können)
Benützen beim Kriechen die Füsse nicht - Atemnot,
Asthma - Panik- und Unmutäußerungen - Weinen und
Rückzug für Stunden (Schreikinder) – fordern
Hilfe heraus - Tendenz schnell aufzugeben, wenn die Lösung
nicht gleich da ist - Grenzen (eigene und andere) nicht respektieren
– wollen sich behaupten (Gewalt rekapitulieren) und
können schwer Hilfe von anderen annehmen - Gefühl
von Unvollständigkeit – oft Anklammern, abhängig
sein und Trennungsängste – weite Gedankenwelt und
weniger Angst bei Grenzerfahrungen – Führungstypen,
Vorausdenker - schnell beim Problemlösen, aber Angst
vor kleinen, langsamen Schritten - pfeilscharfe Focussierung
(de Jong) - Endlose Spiele - Verweilen, eingrenzen und langsame
Abläufe fallen schwer - wirken daher distanzlos -spielen
oft Entführungen - Ausräumen von Behältern
oder Spielzeug zerlegen - überschätzen sich und
haben Mühe, den Weg im Spiel zu erarbeiten - haben tausend
Ideen, aber Mühe bei der Verwirklichung - finden oft
den Abschluss nicht - verlieren häufig die Zeitstruktur
– arbeiten hastig und überspringen oft wichtige
Schritte. Schulverweigerer brauchen den Kontakt zur Lehrperson
– Kontaktabbruch vermeiden.
Heilende Wege
• Es stimmt nicht, dass Mütter
von Kaiserschnittkindern etwas Schlechtes getan haben, schlechtere
Mütter sind, versagt haben und dass ihre Kinder einen
schlechteren Start ins Leben haben.
• Achtung Falle: Eltern neigen dazu,
den ungewöhnlichen Start des Kindes zu kompensieren,
indem sie dem Kind vieles abnehmen, was es selbst tun kann.
So lernt das Kind, dass seine Impulse nicht wichtig sind.
Bewegungsarmut und Angst beim Problemlösen enden in einer
„Es ist doch egal“-Haltung.
• Dem Kind genügend Zeit und Raum
geben und ihm Spielraum für seine Entscheidungen lassen.
• Wenn sie die Schule nicht besuchen können (oder
sie verweigern), soll die Lehrperson sie regelmässig
zu Hause besuchen, um den Kontakt mit ihnen nicht abbrechen
zu lassen (PDA überbrücken).
• Selbst langsam sein und das Langsamsein
anerkennen. Das Kind anleiten, Dinge langsam zu machen, aber
entschlossen zu bleiben. Üben lassen
und Ermutigen zur eigenen Lösung.
• Körperkontakt ist wichtig und
nährend. Körperkontakt im Kämpfen und Widerstand
geben, wobei das Kind es schafft, nicht siegt. Positiv unterstützen,
wenn sie etwas beendet haben.
• Dem Kind vermitteln, dass es wohl vieles auslöst,
deswegen aber nicht schuld ist, besonders
bei Konflikten. Klare Grenzen setzen bedeutet
Halt und Orientierung. Das Kind muss nicht alles tun.
• Mit Reizen sparsam umgehen, weil
zu viele Reize die Impulse des Kindes bremsen.
• In der Schule soll das Kind ein sicheres Klassenzimmer
erleben. Das Kind muss sich im Raum sicher und geschützt
fühlen. Es darf nicht zu einer Handlung gestossen werden,
sondern soll selbst wählen und seinen Impuls setzen können.
Untersuchung zum geplanten Kaiserschnitt
(nach Jenny Hope, British Medical Journal)
• Kinder haben um das Vierfache mehr Atemprobleme. Hormon
für die Lungenreifung wird vermisst.
Atemprobleme bei Geburt in der entsprechenden SS-Woche:
Woche |
Normale Geburt |
geplanter CS |
37 |
2,8% |
10% (4 Mal höher) |
38 |
1,7% |
5.1% (3 Mal) |
39 |
1,1% |
2.1% (2 Mal) |
Ein künstlicher Eingriff erst nach der 39. SS-Wo verringert
erheblich das Auftreten von Atemschwierigkeiten.
• Bei Müttern ist die Wahrscheinlichkeit für
Komplikation (Blutungen und Infektionen) hoch.
• Die Sterbewahrscheinlichkeit während der Geburt
ist viermal höher. (Oxford Universität)
„Die Geburt eines Menschen darf kein isoliertes medizinisches
Ereignis sein, sondern muss Teil des menschlichen Lebensprozesses
werden, möglichst liebevoll, sanft und verbunden. Beim
Kaiserschnitt geht es um die Begrüssung eines neuen Menschen,
nicht um eine Operation.“ (Jane English)
© 2/09
Klaus Käppeli-Valaulta, lic.phil.I, Fachpsychologe für
Psychotherapie FSP, Praxis für somatische Psychotherapie,
St.Leonhardstrasse 4, CH-9000 St.Gallen, +41 (0)71 223 48
91, klaus.kaeppeli@bluewin.ch
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